In 50 Jahren „Tor des Monats” gab es nur einen Spieler aus der DDR, der jemals die begehrte Sportschau-Trophäe gewann. Interview mit Jörg Burow von Carl Zeiss Jena, der heute in Calw (Baden-Würtemberg) lebt. Plus: Alle ostdeutschen „Tor des Monats”-Schützen.

Ein ganz normales Oberliga-Spiel? Fast!

Fußball in der DDR war wie in der Bundesrepublik Volkssport und die bei den Zuschauern beliebteste Sportart. 1990 waren in 4 412 Vereinen mit 17 000 Mannschaften 390 000 Mitglieder organisiert. (Heute hat der Nordorstdeutsche Fußballverband 684 000 Mitglieder in 4 151 Vereinen.)

Im DDR-Fernsehen gab es bis 1990 vor allem drei populäre Sportsendungen: Sport aktuell, Halbzeit und Sport am Sonntag. Keine dieser Sendungen hatte aber einen Preis wie das „Tor des Monats”. Die ARD-Sportschau kannten aber alle DDR-Bürger, die Westfernsehen empfangen konnten. Dort wird seit März 1971 das „Tor des Monats” gekürt, dessen 50. Geburstag ARD und Sportschau im März 2021 feierten.

Video: Arndt Zeigler – „50 Jahre Tor des Monats”

Mit dieser Doku feierte die ARD-Sportschau „50 Jahre Tor des Monats”

Das Spiel: Carl Zeiss Jena gegen Stahl Brandenburg

Es war ein trüber Freitagabend, dieser 12. September 1987. Regen ergoss sich in Strömen über dem Ernst-Abbe-Sportfeld in Jena. 5. Spieltag der DDR-Oberliga: Der Tabellenfünfte FC Carl Zeiss Jena empfing den Siebten, die BSG Stahl aus Brandenburg/Havel.

Liga-Routine im Saaletal, könnte man meinen. Doch für beide Mannschaften war die Begegnung eine Generalprobe, denn drei Tage später sollte es für die Jenaer und Brandenburger im UEFA-Pokal losgehen. In der ersten Runde warteten auf die Brandenburger der Coleraine FC aus Nordirland und auf die Thüringer Bayer 05 Uerdingen.

DDR-Angstgegner Bayer 04 Uerdingen

Die Mannschaft aus Nordrhein-Westfalen war jedem DDR-Bürger bestens bekannt. Nicht nur weil das Team um den charismatischen Trainer Karl-Heinz Feldkamp ein Jahr zuvor sensationell den DFB-Pokal gegen Rekordmeister FC Bayern München gewonnen hatte, sondern auch weil die Mannschaft aus Krefeld wenige Wochen später in einem „Jahrhundertspiel” Dynamo Dresden mit 7:3 aus dem Europapokal geworfen hatte.

In Ost und West richtete man sich nun – ein Jahr später – auf ein ähnliches Spektakel zwischen Jena und Uerdingen ein. Ein Team der ARD-Sportschau reiste nach Thüringen, um Bilder für einen Vorbericht zum anstehenden UEFA-Pokal-Spiel zu drehen.

Das „Tor des Monats” aus der DDR

Doch ein Spektakel bekamen die Reporter vom Westfernsehen schon in dem Stadion zu sehen, das seit 1939 den Namen des einstigen Direktors der Sternwarte Jena, Ernst Abbe, trägt. Es war in der 68. Minute und es stand immer noch 0:0. Carl Zeiss bekam nach einem Foul einen Freistoß an der linken Strafraumkante zugesprochen.

Jörg Burow, geboren 1961 in Zeulenroda und seit seinem 13. Lebensjahr beim FC Carl Zeiss Jena legte sich den Ball zurecht. Ein kurzer Anlauf, dann der Schuss mit Effet links an der Zwei-Mann-Mauer vorbei. Torwart Detlef Zimmer, am Tag des Spiels 32 Jahre alt und sechsmaliger U18-DDR-Auswahlspieler, hat keine Chance. Das 1:0 – aber am Ende siegten die Jenaer mit 2:0.

Video: Das „Tor des Monats” von Jörg Burow vom FC Carl Zeiss Jena

12. September 1987: FC Carl Zeiss Jena gegen die BSG Stahl Brandenburg. Original DDR-Kommentar von Uwe Grandel

Begeisterung im Westen

Das Team der westdeutschen „Sportschau” war begeistert, zeigte und meldete das Tor von Jörg Burow der Redaktion in Köln. Es kam in die engere Auswahl und wurde tatsächlich gewählt. Zum ersten Mal wurde ein Tor aus der DDR-Oberliga „Tor des Monats”.

Wir haben damals im DDR-Fernsehen unsere eigenen Spiele angesehen, aber jedes Wochenende auch die Sportschau.

Jörg Buhrow

In einem Interview mit dem „Schwarzwälder Boten” erinnert sich Jörg Burow Ende März 2021: „Wir haben damals im DDR-Fernsehen unsere eigenen Spiele angesehen, aber jedes Wochenende auch die Sportschau. (…) In Thüringen war es kein Problem, West-Fernsehen zu schauen. Geschossen habe ich das Freistoßtor 1986 im September. Etwas später ist es dann in der Sportschau in die Auswahl gekommen. Ich war erst einmal überrascht, aber ich habe mich natürlich gefreut.”

Video: Doku „Das einzige Tor des Monats der DDR” – Arndt Zeigler

Abgesagt: Die Reise nach Westdeutschland

Die Kunde von der Wahl im Westen sprach sich im Osten natürlich herum. Man gratulierte dem neuen „Tor des Monats”-Sieger und freute sich mit ihm. Mehr noch: „Es war ja sogar geplant, dass ich nach Köln fahre und dort die Medaille bekomme. Aber zwei Tage später hatte sich das Ganze schon erledigt. Ich durfte nicht fahren. Begründet wurde die Entscheidung nicht”, erzählte Jörg Burow später.

Eine Begründung für die Ablehnung gab es nicht.

Jörg Burow

Und weiter: „Erst einmal war es eine Enttäuschung. Ich hatte das so hinzunehmen. Ob da jemand Bedenken hatte, ich weiß es nicht – vielleicht. Aber wie gesagt, eine Begründung für die Ablehnung gab es nicht.”

Wie die Medaille dann doch zu Jörg Burow kam

Nach der Wende spielte Jörg Burow noch eine Saison bei Energie Cottbus, bevor er zum VfL Sindelfingen wechselte. Dort spielte er von 1991 bis 1993 in der Oberliga Baden-Württemberg (damals dritthöchste Spielklasse) und nach dem Abstieg 1993 in der Verbandsliga.

So berichtetet Ende März der Schwarzwälder Bote. Der Zeitung hatte Jörg Burow Ende ein Interview gegeben, das Sie HIER nachlesen können. Foto: Screenshot Schwarzwälder Bote

Zum Ende seiner aktiven Fußballer-Karriere war Burow – immerhin vierfacher DDR-Junioren-Nationalspieler – beim SV Würzbach (zwischen Stuttgart und Baden-Baden) als Spielertrainer tätig. Ein Arbeitskollege bei Daimler, wo Burow inzwischen hauptberuflich tätig war, hatte den Kontakt vermittelt.

Heute lebt Jörg Burow im 13 Kilometer entfernten Calw und schaut immer mal wieder bei den Heimspielen der SG Oberreichenbach/Würzbach in der Kreisliga A vorbei, wo sein Sohn Pierre heute Spielertrainer ist.

Das ganze Interview, das der „Schwarzwälder Bote” mit Jörg Burow führte, können Sie HIER nachlesen.

Alle Ostdeutsche, die ein „Tor des Monats” geschossen haben

  • September 1986: Jörg Burow, Carl Zeiss Jena
  • April 1992: Uwe Rösler, Dynamo Dresden
  • März 1993: Carsten Jancker, Deutschland U20
  • Juli 1993: Frank Rohde, Hertha BSC Berlin
  • März 1994: Thomas Rath, Dynamo Dresden
  • Oktober 1994: Bernd Tipold, FSV Zwickau
  • Oktober 1996: Kerstin Elger, Tennis Bourussia Berlin
  • Februar 1997: Sven Kmetsch, Hamburger SV
  • Februar 1998: Roy Präger, VfL Wolfsburg
  • April 1998: Jürgen Rische, 1. FC Kaiserslautern
  • September 1998: Olaf Marschall, FC Kaiserslautern
  • März 1999: Jens Jeremies, Nationalmannschaft
  • März 2001: Bernd Schneider, Bayer 04 Leverkusen
  • Oktober 2001: Bernd Schneider, Bayer 04 Leverkusen
  • Dezember 2001: Roy Präger, Hamburger SV
  • Mai 2020: Jörg Böhme, FC Schalke 04
  • September 2002: Michael Ballack, Nationalmannschaft
  • Juni 2003: Frank Berger, FC Erzgebirge Aue
  • November 2003: Florian Gogolok, Hallescher FC
  • März 2004: Normen Elsner, Eisenhüttenstädter FC Stahl
  • Februar 2006: Michael Ballack, FC Bayern München
  • Februar 2007: Bernd Schneider, Bayer 04 Leverkusen
  • Dezmber 2007: Marcel Schlosser, Chemnitzer FC
  • Mai 2008: Markus Kaya, Rot-Weiß Oberhausen
  • Juni 2008: Michael Ballack, Nationalmannschaft
  • März 2009: Michael Ballack, Nationalmannschaft
  • Mai 2009: Florian Trinks, Deutschland U17
  • August 2015: Carsten Kammlott, FC Rot-Weiß Erfurt
  • November 2015: Franz Häfner, SV Einheit Kamenz
  • November 2017: Christian Beck, 1. Magdeburg
  • Januar 2018: Nils Petersen, SC Freiburg
  • Februar 2018: Christian Beck, 1. Magdeburg
  • Juni 2018: Toni Kroos, Nationalmannschaft
  • Juli 2020: Anna Blässe, VfL Wolfsburg
  • Oktober 2020: Christian Bickel, Chemnitzer FC

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