Zum Lebensgefühl Ost gehört auch der Speisewagen. Nein, natürlich meine ich nicht den Convenience-Truck der DB, sondern die Gastlichkeit und Kochkunst eines guten Zug-Restaurants. Es gibt sie noch – auf Strecken, die quer durch Ostdeutschland führen.

Im Speisewagen Richtung Prag

Tack, tack, tack…gleichmäßig gleitet der Zug durch die Weite der Landschaft. Mal ein Birkenwäldchen, mal ein Dörfchen, dann eine Herde schottischer Langhaar-Rinder und ein Windrad – nur kurz sind die Unterbrechungen für den Blick nach draußen.

Drinnen duftet es nach Kaffee, Kuchen und Höflichkeit. „Darf es noch etwas sein?”, fragt der Kellner in Weste, weißem Hemd und gebrochenem Deutsch. Ich entscheide mich für einen Riesling vom Weingut Znovín Znojmo aus dem Süden Tschechiens.

Das Reisen im Speisewagen ist Urlaub für die Seele. Und unfassbar preiswert.

Patrick Ziob

Ich hatte schon zwei eiskalte Budweiser Budvar zum Schnitzel mit Kartoffelsalat – aber es ist egal. Die Zeit scheint stehengeblieben, und ich bin weit, weit weg. Keine Ahnung wo, aber eben irgendwo anders. Das Reisen im (nichtdeutschen) Speisewagen ist Urlaub für die Seele. Und unfassbar preiswert.

(Wenngleich die osteuropäischen Betreiber mittlerweile deutsche Preise eingeführt haben. Noch bis vor wenigen Jahren wurden auch auf dem deutschen Schienennetz polnische, tschechische beziehungsweise ungarische Preise verlangt).

Die Speisenkarte im tschechischen Speisewagen. HIER können Sie die aktuelle Version downloaden. Foto: Patrick Ziob

Das tschechische Zugrestaurant

Dabei sitze ich im E177 „Berliner” und ich reise von Berlin nach Dresden, mit dem Zug, der eigentlich weiter nach Prag fährt. Unter uns Pendlern sind die Züge der tschechischen Staatsbahn České dráhy, kurz ČD, die beliebtesten Verbindungen zwischen Sachsens Landeshauptstadt und der Bundeshauptstadt.

Denn entweder hängt in den fünf Zügen, die zwischen Hamburg und Prag oder Berlin und Prag verkehren, ein Speisewagen der tschechischen JLV oder der polnischen Wars. Beide sind herausragende kulinarische Reiseerlebnisse, aber in diesem Abschnitt soll es erst einmal um das Angebot des tschechischen Speisewagen gehen.

Der tschechische Speisewagen ist Stil auf Schienen.

Patrick Ziob

Ein kurzer Einschub: Auf der Strecke Dresden-Berlin verkehrt seit einiger Zeit auch der neue doppelstöckige IC nach Warnemünde, der ab 2022 Chemnitz und die Ostsee miteinander verbinden wird. Aber das kulinarische Erlebnis hier ist ein (oft nicht funktionierender) Kühlschrankautomat und daher nicht der Rede wert und vielleicht mal später Thema eines anderen Blogbeitrages.

Der tschechische Speisewagen dagegen ist Stil auf Schienen. Ein Eintauchen in eine vergangene Zeit und eine Mischung aus K. u. k.-Vornehmheit, böhmischer Lebenslust und postsozialistischem Design. Roter Plüsch oder rotes Leder, dampfende Knödel, ein Kellner, der dezente Distanz hält und der immer so tun wird, als spreche und verstehe er perfekt deutsch.

Wein und Bier im tschechischen Speisewagen. Im Hintergrund: Der Bahnhof Berlin-Karlshorst
Im tschechischen Speisewagen. Im Hintergrund: Der Bahnhof Berlin-Karlshorst. Foto: Patrick Ziob

Das empfehle ich im tschechischen Speisewagen

Man kann wirklich alles empfehlen. Herzhaftes, wie Rinderbraten oder Schnitzel, Süßes, wie Kuchen oder Palatschinken. Mein Lieblingsessen aber ist: Drei Spiegeleier auf Schinken mit Parmesan überbacken. Warum? Nun, weil man den Koch zuhören kann, wie er die Eier aufschlägt und in der Pfanne bruzzelt. Wie er die Tomaten schneidet und die Petersilie für die Deko hackt.

Dazu bestelle ich immer Tomaten- und Gurkensalat. Beides frisch zubereitet an einer Vinaigrette, die immer etwas anders schmeckt. Je nach Koch halt.

Zwei Geheimtipps von mir sind Chips von Bohemia und Frankfurter Würstchen. Ich habe schon Reisende erlebt, die sich extra mehr Würstchen bestellt haben, um sie ihrer Familie daheim mitzubringen.

Auch wenn Tschechien bei uns für Weinanbau nicht so sehr bekannt ist, empfehle ich Ihnen den Wein, aber auch den Sekt zu testen. Der Riesling, der Veltliner und der etwas lieblichere Pálava sowie der rote Svatovavřinecké von Znovín Znojmo aus Šatov sind wirklich sehr gut. Genauso wie der Sekt von Bohemia Sekt aus Starý Plzenec.

Im tschechischen Speisewagen: Pálava von Znovín Znojmo aus Šatov und Wasser von Mattoni aus Karlsbad.
Im tschechischen Speisewagen: Pálava von Znovín Znojmo aus Šatov und Wasser von Mattoni aus Karlsbad. Foto: Patrick Ziob

Ein Tipp ist aber auch das alkoholfreie Bier, das Birell aus der Schweiz. Birell gilt als das erste alkoholfreie Bier weltweit, das auch ökonomisch ein Erfolg wurde. Es wurde acht Jahre vor dem ersten alkoholfreien Bier aus Deutschland – dem AUBI aus der DDR – entwickelt. Die ganze Geschichte des alkoholfreien Bieres können Sie HIER nachlesen.

Das polnische Zugrestaurant

„Wodka? Bier? Schnitzel?” – so wird man im polnischen Speisewagen lautstark begrüßt. Das Restaurant ist sauber, gepflegt, geordnet und doch geht es hier rustikaler zu. Slawischer eben. Das färbt auch auf die Gäste ab. Während im tschechischen Speisewagen eine gediegen-flüsternde Stimmung vorherrschend ist, geht es im polnischen Pendant lebhaft zu.

Der polnische Speisewagen ist Lebenslust auf Schienen.

Patrick Ziob

Kellnerinnen und Kellner bedienen leidenschaftlich und die Gäste greifen mit gleicher Leidenschaft zu Bier, Wodka und Schnitzel. Letzteres wird frisch – und natürlich lautstark – in der Pfanne gebraten. Der polnische Speisewagen ist Lebenslust auf Schienen.

Die Speisewagen fahren unter der „Flagge” des polnischen Bahnhof-Caterers Wars, sind aber einzelne Franchise-Unternehmen. Ich habe Marek (Name geändert) kennengelernt, der sechs Speisewagen betreibt. Er erzählte mir lachend von seinem Haus bei Wroclaw, mit Pool, Kamin und viel Platz: „Ich kann davon ganz gut leben.” Allerdings ist er oft wochenlang in seinen Speisewagen unterwegs.

Kaffee und Wasser von Zywiec Zdroj aus Węgierska Górka im polnischen Speisewagen
Kaffee und Wasser von Zywiec Zdroj aus Węgierska Górka. Foto Patrick Ziob

Das empfehle ich im polnischen Speisewagen

Ich habe drei klare Favoriten im polnischen Speisewagen: Salat mit gebackenem Camembert, frisch zubereitet, Pelmini in Butter und Zwiebeln geschwenkt – und das „polnische Frühstück”: Frisches Rührei mit Schinken und Brot, dazu Tomaten und gehackte Zwiebeln.

Noch ein paar Insider-Tipps: Normalerweise wird in den polnischen Speisewagen das Bier Okocim, das in den Brauereien Sierpc und Okocim in Brzesko gebraut wird, die Carlsberg Polska gehören. Gute und gutschmeckende Biere. Aber fragen Sie mal nach „Jan Olbracht”. Ein kleine Craft-Bier-Brauerei aus Toruń, die Hervorragendes und gar Köstliches braut. Manchmal gibt es ein paar Flaschen im Bordkühlschrank.

Fragen ist oft die Mutter einer jeden Gaumenfreude

Patrick Ziob

Ach ja – und da ist da noch der Wodka. Natürlich stehen ein paar Sorten auf der Karte. Aber auch hier gilt: Fragen ist oft die Mutter einer jeden Gaumenfreude. Lassen Sie den Kellner den Chef sein und ihn entscheiden; oft hat er noch eine Flasche hinterm Tresen stehen, die eine lokale Spezialität ist und eben nicht auf der Karte steht.

Fazit: Der polnische Speisewagen ist eher geeignet, ganz früh den Tag zu beginnen oder ihn ausklingen zu lassen. Man findet ihn ab zu noch in den tschechischen EC’s von Berlin nach Prag, ganz sicher aber im Berlin-Warszawa-Express über Frankfurt/Oder.

Das ungarische Zugrestaurant

„Nähmen Sie bittä daaa Platz.” Im ungarischen Speisewagen wird man platziert. Höflich, verbindlich, aber direkt. So wie damals im Sozialismus. Im ungarischen Speisewagen fühlt man sich in der Tat am ehesten an die gute, alte Mitropa erinnert: Gutes Essen, gepaart mit lässigem Charme. Nur die Farbe ist anders. Dominierte im Speisewagen, an den viele DDR-Bürger mit Wehmut denken, ein Rot, ist es „im Ungarn” das Blau.

Die moderne Version des ungarischen Speisewagens. Es gibt sie aber auch noch in der Plüsch-Variante.

Der ungarische Speisewagen fährt immer Samstags und Sonntags durch Deutschland. Er ist Teil des EC 173/175 „Hungaria”, der immer Samstags und Sonntags die Strecke Budapest-Hamburg-Budapest (via Prag, Dresden, Berlin) bedient.

Der ungarische Speisewagen ist Tradition auf Schienen.

Patrick Ziob

Der Hungaria (zeitweise Hungaria-Express) verkehrt seit 1960 zwischen Deutschland und Ungarn. Ursprünglich startete er in Berlin und ist damit auch der Nachfolger des legendären Orient-Express. In dieser Tradition fühlt sich auch der Speisewagen.

Gekocht wird alles auf zwei Herdplatten und auf Stil wird geachtet. So ist das Arbeiten am Laptop verboten: „Mein Herr, das ist ein Restaurant, das ist kein Büro.” Der ungarische Speisewagen ist Tradition auf Schienen.

Oder wie die ungarische Staatsbahn MAV auf ihrer Internetseite selber schreibt: „Die Bezeichnung rollendes Restaurant ist mehr als Passend: Vor Ort zubereitete frische Speisen mit einer perfekter Bedienung – während der Fahrt zu unserem Reiseziel.”

Das empfehle ich im ungarischen Speisewagen

Gulasch, Gulasch, Gulasch – man muss es einmal gegessen haben. Auch im ungarischen Speisewagen schmeckt das magyarische Nationalgericht anders als in jedem deutschen Restaurant. Das Gulasch-Geheimnis hat mir mal ein Freund aus Ungarn erklärt: „Keine Tomaten, kein Paprika, keine Zwiebeln. Das Fleisch kräftig mit Paprika-Paste anbraten und gaaaaaanz lang im eigenen Saft köchlen lassen.”

Ich habe es tausendmal so probiert. Aber niemals schmeckte mein Gulasch so wie das, das mein Freund zubereitet hat. Oder eben wie das im ungarischen Speisewagen. Aber jedes Gericht, das im „Étkezőkocsi” gereicht wird, lohnt. Rein kulinarisch betrachtet ist der Ungar das Paris unter den Speisewagen.

Aber auch hier ist mein Favorit das Frühstück. Drei Spiegeleier mit Schinken, Kaffee, Orangensaft und frischen, warmen Brötchen. Für 9,90 Euro. Keine Ahnung, wie die das mit den frischen Brötchen hinkriegen. Mehr Zugreisegenuss geht nicht.

Frühstück im ungarischen Speisewagen: Spiegeleier mit Schinken und frischen Brötchen
Frühstück im ungarischen Speisewagen: Spiegeleier mit Schinken und frischen Brötchen. Foto: Patrick Ziob

Die Speisewagen nach Corona

Tack, tack, tack…gleichmäßig gleitet der Zug durch die Weite der Landschaft. Ich bin satt und leicht angetrunken. Gleich bin ich zu Hause. Nach einem Kurzurlaub auf Schienen, den man so bei uns nur in Ostdeutschland erleben kann. Zwei, bis drei Stunden, die nur der Seele gehören.

Corona hatte natürlich auch das Zugrestaurant-Angebot in Ostdeutschland verändert. Im Hungaria war ganz auf das rollende Restaurant ganz verzichtet worden, das polnische Angebot fand man auf der Strecken Berlin-Dresden gar nicht mehr. Und im tschechischen Speisewagen gab es nur noch ein To-Go-Angebot.

Aber diese Zeiten sind Gott sei Dank wieder vorbei. Sie waren wieder, die osteuropäischen Gaumenfreuden auf Rädern durch Ostdeutschland. Das Mitropa-Gefühl ist zurück, und ich mache wieder Urlaub. Im Speisewagen.

Video: Im Speisewagen durch Tschechien