Im Frühjahr 2020 stellte der bayrische Eigentümer überraschend die Produktion des Tutower Senf ein. Doch ein Jahr später ist das Traditionsprodukt aus dem Nordosten wieder da. Und die Erfolgsgeschichte hat einen Namen: Stefan Schmidt, 64. Einer mit ostdeutschem Herz- und Heimatblut.

Stefan Schmidt: Leidenschaft für Lebensmittel aus Ostdeutschland

Stefan Schmidt ist seit DDR-Zeiten ein innovativer Kopf der ostdeutschen Genussmittelbranche. Nun hatte er eine neue Vision, die zur Mission wurde: Den Tutower Senf als regionales Produkt aus Vorpommern erhalten.

Von Magdeburg über Bulgarien nach Neubrandenburg

Stefan Schmidt kommt eigentlich aus Magdeburg. Was man hört, wenn man mit ihm spricht: Das „G” spricht er preußisch „J” und die Heimatstadt sachsenanhaltinisch „Machdeburch”. Was man aber auch hört: Seine Leidenschaft für Lebensmittel. Für Lebensmittel aus Ostdeutschland. Und für den Tutower Senf, eines der bekanntesten regionalen Produkte aus dem Norden und ein klassisches Ostprodukt.

Studium an der ABF in Halle

Mit 17 macht er im Studium, an der „Arbeiter- und Bauernfakultät” (ABF) in Halle/Saale sein Abitur. Die ABF in der Saalestadt gilt als DDR-Kaderschmiede für das Auslandsstudium. Wer ab Mitte der 60er Jahre die ABF absolviert, will in einem anderen sozialistischen Land eine Universität besuchen.

Stefan Schmidt, ganz links, mit Mitstudenten (aus Persönlichkeitsrechtsgründen unkenntlich gemacht) im bulgarischen Plovdiv. Foto: Privat

Die DDR schickt junge Leute zum Studium in fast alle Länder Osteuropas. Sie studieren Wirtschaftswissenschaften in Prag, Zahnmedizin in Bratislava, Informatik in Budapest, Weinbau in Plovdiv. Stefan Schmidt geht nach Bulgarien.

Die Weine trugen Namen wie Weinbergsstolz, Goldener Nektar, Sole Vino, Castello oder Mendoza.

Stefan Schmidt

Zurück in der DDR baut er den VEB Weinkellerei Neubrandenburg mit auf. Jeder Bezirk hatte damals einen eigenen Weinbetrieb, der aus ausländischen Grundweinen nach einer bestimmten Richtrezeptur, die als TGL überall in der DDR gleich war, Wein für seine Region herstellt und in Recyclingglas abfüllt. Die Weine trugen Namen wie Weinbergsstolz, Goldener Nektar, Sole Vino, Castello oder Mendoza.

Der erste Kracher: Die Cherry Lady

Mitte der 80er Jahre hat Stefan Schmidt eine Idee, die zu Kult wird: Er mischt Rotwein mit Kirschsaft, verfeinert es mit Mandelaroma und heraus kommt die berühmte Cherry Lady.

Stefan Schmidt zu Ostkoster.de: „Etwa zeitgleich stürmte Modern Talking mit Cherie, Cherie Lady die Hitparaden, und wir wussten nicht, dass das französische Cherie gemeint war, sondern dachten, die Band benutzt das englische Wort für Kirsche: Cherry. So kam die Cherry Lady zu ihrem Namen.”

Den Cocktail-Schlager von damals gibt es noch heute. Nach den Irrungen und Wirrungen der Nachwendezeit, wird er heute in den Niederlanden hergestellt. Speziell für den ostdeutschen Markt. Einige Supermarkt-Ketten haben ihn gelistet oder im Online-Shop.

Ein Bildkomposition, die es so nicht gibt, aber passt. Die Cherry-Lady heute.

Wein aus Mecklenburg-Vorpommern

Auch für Stefan Schmidt bringen die Jahre nach Wende und Wiedervereinigung Veränderungen mit. Bis 2009 begleitet er die Weinkellerei in Neubrandenburg und geht nach einem Intermezzo im Brandenburgischen 2012 als Weingutsleiter nach Schloss Rattey.

Das größte Weingut in Norddeutschland.

Schloss Rattey

Das Areal rund um das ruhig gelegene Schlosshotel am Fuße der Brohmer Berge ist seit 2004 offizielles Weinanbaugebiet und heute mit zwölf Hektar, 60 000 Weinstöcken und 12 Rebsorten das größte Weingut in Norddeutschland.

Video: Weinlese auf Schloss Rattey

Das Geschäft mit dem Wein aus der Nähe von Neubrandenburg, das 1999 mit 500 Rebstöcken und enthusiastischen Ehrenamtlern begann, hat Stefan Schmidt auf ein neues Level gehoben. Das fällt auch Horant Elgeti auf, dessen Inselmühle Usedom 2019 Schloss Rattey kauft. Stefan Schmidt: „Herr Elgeti sagte, er kaufe nur, wenn ich bleibe. Eigentlich hatte ich mein Rentenalter erreicht, aber ich sagte zu, bis meine Frau 2024 in den Ruhestand geht.”

Zwei mit Leidenschaft: Stefan Schmidt und Horant Elgeti

Denn da haben sich zwei gefunden. Schmidt mit seiner Leidenschaft für Wein und ostdeutsche Produkte und Elgeti mit seiner Leidenschaft für seine Heimat Mecklenburg-Vorpommern.

Horant Elgeti ist der jüngste Sohn von Agrarwissenschaftler Dr. Herwig Elgeti, der in Brodersdorf bei Rostock einen Hof betreibt und mit rund drei Hektar als der größte Rot- und Weißkohlproduzent in Mecklenburg-Vorpommern gilt.

Vater Herwig hat zudem das Standardwerk „Kartoffeln für Jedermann” geschrieben, Bruder Rolf macht als Investor bei Fußball-Drittligist Hansa Rostock Schlagzeilen. Beide Brüder sind auch stark im nordostdeutschen Immobiliengeschäft engagiert.

Video: Hotel und Weingut Schloss Rattey

Tutower Senf: So wurde das Ostprodukt gerettet

Damit ist die Geschichte über den Tutower Senf und seine Wiederbelebung, die ich jetzt erzählen werde, kein Zufall, sondern das Ergebnis einer explosiven Mischung zweier Männer mit ihrem Feuer für Mecklenburg und Vorpommern.

Auf der Suche nach interessanten Produkten aus den Früchten von Inselmühle und Rattey entwickelt Schmidt die Idee, auch eigenen Apfel- und Weinessig herzustellen. Da ist der Senf nur eine konsequente Lösung. Es sollte zuerst ein Dijonsenf ähnliches Qualitätsprodukt aus eigenem Traubensaft, Weinessig, Senfsaat und weiteren Ingredienzien sein.

Das Abschiedsfest für den Tutower Senf

Dann kommt der September 2020. In Tutow, im Landkreis Vorpommern-Greifswald, feiern die Einwohner ein Fest. Sie nehmen Abschied von ihrem Tutower Senf. Die letzten Chargen werden verzehrt und verkauft. Im Mai war bekannt geworden, dass der Eigentümer aus Niederbayern die Produktion der Traditionsmarke eingestellt hatte.

Senf aus Tutow – das war zu DDR-Zeiten für die einen Qualität aus der Heimat, für die anderen der Geschmack ihres Ostsee-Urlaubes. Tutower war eine der fünf großen Senf-Marken des Landes und der Stolz einer ganzen Region. Denn auch nach der Wende schaffte es das Ostprodukt in die Regale der Supermärkte, wenngleich zu einem Dumping-Preis.

Der Tutower Senf darf nicht sterben.

Stefan Schmidt

Fast jeder in dem 1200-Einwohner-Dorf hat einmal in der Produktionsstätte gearbeitet, in der heute das DDR-Museum beheimatet ist. Als Stefan Schmidt im Fernsehen den traurigen Abgesang auf den beliebten Senf sieht und hört, sagt er erst zu sich und dann zu seinem Chef Horant Elgeti: „Der Tutower Senf darf nicht sterben.”

Stefan Schmidt (links) und Tutows Bürgermeister Roland Heiden Foto: Privat

Auf der Suche nach dem Original-Rezept

Elgeti, Inhaber und Betreiber der Inselmühle Usedom, eine „Naturmanufaktur für kaltgepresste Speiseöle, naturbelassene Obst- und Gemüsesäfte sowie delikate Aufstriche”, war von der Idee sofort begeistert.

Heisst es doch auf der Webseite des Unternehmens: „160 Jahre wurde in der Inselmühle Getreide gemahlen. Heute beherbergt das alte Gemäuer modernste Technik und ist nach langem Dornröschenschlaf von uns zu neuem Leben erweckt worden – mit viel Herzblut und Liebe zur Region. Die mehrfach ausgezeichneten Mecklenburger Landweine und Spirituosen unseres eigenen Weinguts Schloss Rattey bereichern unser Sortiment.”

Zur Inselmühle, die in der Stadt Usedom direkt an der B110 liegt, gehört auch Land. Viel Land, so um die 70 Hektar. Die beiden Männer fassen einen kühnen Plan: Hier soll der gelbe Senf wachsen, der dann in Mecklenburger Weinessig und den anderen Zutaten für mehrere Stunden eingemaischt und in der Mühle nebenan nass gemahlen wird, um den Tutower Senf wiederzubeleben.

Das Rezept stammt nicht aus dem ehemaligen Bezirk Neubrandenburg, sondern aus dem Herzen Pommerns.

Patrick Ziob

Fehlt nur noch die Original-Rezeptur. Stefan Schmidt nimmt mit ehemaligen Mitarbeitern der Tutower Senffabrik Kontakt auf und die machen sich samt Ortsbürgermeister Roland Heiden auf den Weg nach Rattey. Und hier bekommt er nicht nur das Rezept, sondern erfährt auch noch die besondere Geschichte des Senfes, der gar nicht aus dem ehemaligen Bezirk Neubrandenburg stammt, sondern aus dem Herzen Pommerns.

Die wahre Geschichte des Tutower Senf

Die Rezeptur des Tutower Senfs wurde vor rund 150 Jahren in der Firma „Müller & Bolle“ in Stettin kreiert: Ohne Geschmacksverstärker und Farbstoffe und schön scharf – das waren seine Charakteristika. In den letzten Kriegstagen ausgebombt, suchte die Firma eine neue Betriebsstätte.

Stettin – die Heimat des Tutower Senf. Foto: Canva

In Loitz, im Unteren Peenetal gelegen, wurde man fündig. Anfang der 50er Jahre enteignet der junge SED-Staat die Firma; 1964 verlagerte man die Produktion in eine Konservenfabrik des VEB Nordfrucht nach Tutow. Zunächst behielt der Senf den Namen Loitzer Speisesenf, später wurde er in „Tutower Senf“ umbenannt.

Der neue Tutower Senf: Nur regionale Inhaltsstoffe

Mit der Original-Rezeptur in der Hand fährt Stefan Schmidt nach Usedom, und das Abenteuer beginnt.
Es wird beschlossen, den gelben Senf, den Hauptinhaltsstoff auf Usedom anzubauen. Das Weingut in Rattey keltert Essiggrundwein aus eigenen Trauben, daraus wird der Essig in der Inselmühle hergestellt. Zucker kommt aus der Zuckerfabrik Anklam. Damit ist der Pommern Senf Original Tutow ein echtes regionales Produkt.

Senf: Pommernsenf Tutower Original ist der beste Senf aus Mecklenburg-Vorpommern
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Stefan Schmidt: „Ich weiß aus meiner Erfahrung, was mit vielen guten Ostprodukten passiert ist: Sie sind ganz vom Markt verschwunden oder werden woanders hergestellt, so das man sie nicht mehr als regionales Produkt bezeichnen kann. Den Tutower Senf wollte ich unbedingt in Mecklenburg-Vorpommern halten.”

Wo Sie den Tutower Senf kaufen oder online bestellen können

Denn den Tutower Senf können Sie direkt vor Ort oder online kaufen.

  • Café und Laden Inselmühle. Adresse: Bäderstraße 9-11 (B110) in 17406 Usedom. Öffnungszeiten: Montag bis Freitags: 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr.
  • Dann auch im Gutsladen Rattey. Adresse: Dorfstraße 2 in 17349 Rattey. Öffnungszeiten: Montags bis Freitag 10:00 bis 16:00 Uhr sowie Samstag und Sonntag von 11:30 bis 16:00 Uhr.
  • Statt im Laden können Sie Tutower Senf auch im Online-Shop kaufen und bestellen. Einfach HIER klicken.